(Auf der Grundlage von: Klaus-Peter Seidler, Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)
"Forschung und Mythen der Psychotherapie"
Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein
galt in der Medizin die allgemeine Lehrmeinung, dass Aderlass zur
Behandlung von schweren Krankheiten wie Tuberkulose, geeignet sei, obgleich
dies - gemäss
heutigen Erkenntnissen - gerade zu einer weiteren Schwächung des Kranken
führt.
Dieses Beispiel verdeutlicht drastisch die Notwendigkeit empirischer Überprüfung
von Therapiemethoden, wobei die Psychotherapie hiervon nicht ausgenommen werden
kann.
Der Psychotherapieforschung kommt somit notwendigerweise eine zentrale Rolle
bei der Entwicklung der Psychotherapie zu, welche Sie von der „Konfession
zur Profession“ (Grawe
et al. 1994) führt.
So werden von der Forschung heute viele der Lehrmeinungen und Hypothesen der verschiedenen Therapieverfahren nicht bestätigt, sondern vielmehr in Frage gestellt werden und müssen somit als Mythen gelten.
Einige solcher Mythen sollen nun (auf der Grundlage eines Artikels Klaus-Peter Seidler) beispielhaft für die bekanntesten und verbreitetsten Verfahren dargestellt werden – dies auch, um zu zeigen, dass es nicht nur bestimmte Verfahren sind, deren Lehrmeinung auf Mythen beruhen, sondern dass es sich vielmehr um ein Phänomen der Psychotherapie (wie übrigens auch der Medizin) im Allgemeinen handelt.
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Psychoanalyse: "In einer von Psychoanalytikern durchgeführte Studie (Wallerstein 1990) zeigte sich, dass anders als theoretisch postuliert, eine so genannte aufdeckende therapeutische Arbeit nicht von entscheidender Bedeutung für therapeutische Veränderungen war. So erwiesen sich weniger Interpretationen und Einsichten, sondern vor allem supportive Faktoren (wie z.B. emotional korrigierende Erfahrungen innerhalb und ausserhalb der Therapie) als relevant für den Erfolg psychoanalytischer Therapie." (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006).
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Verhaltenstherapie: "Die Wirksamkeit der systematischen Desensibilisierung, eine Methode der Angstbehandlung in der Verhaltenstherapie konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden. Ihre einzelnen theoretisch angenommenen Wirkparameter (wie Entspannung oder graduelle Reizdarbietung in aufsteigender Reihenfolge) haben sich aber als unwichtig für das Therapieergebnis erwiesen (Emmelkamp 1982)." (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006).
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Kognitive Therapie: "Die Kognitive Therapie hat sich in der Behandlung depressiv erkrankter Patienten als wirksam erwiesen. Entgegen der Lehrmeinung in der Kognitiven Therapie zeigte sich aber in einer Studie, dass die therapeutische Arbeit an dysfunktionalen Denkmustern nicht zu einer Verbesserung, sondern zu einer Verschlechterung der Symptomatik führte. Positive Veränderungen bei den Patienten ergaben sich dagegen im Zusammenhang mit als unspezifisch bewerteten therapeutischen Wirkfaktoren: Verbesserungen waren umso mehr zu verzeichnen, je besser die Qualität des therapeutischen Arbeitsbündnisses ausfiel und desto emotionaler beteiligter der Patienten war (Gastonguay et al. 1996)". (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)")
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Gesprächspsychotherapie: "Die Gesprächspsychotherapie nach Rogers postuliert, dass eine therapeutisch wirksame Beziehung von Seiten des Therapeuten durch einfühlendes Verstehen, unbedingte positive Wertschätzung und Echtheit bzw. Kongruenz gekennzeichnet ist. Dies wird auch weitgehend von der Forschung bestätigt (Norcross 2002). Darüber hinaus konnte diese aber noch weitere bedeutsame Merkmale für eine therapeutisch wirksame Beziehung identifizieren, wie den Konsens von Patient und Therapeut über die Behandlungsziele und ein gemeinsames „An-einem-Strang-Ziehen“ in der therapeutischen Arbeit (Tryon und Winograd 2002). So lässt sich auch folgender Befund erklären: Eine nondirektive Gesprächsführung, wie sie lange Zeit für die Gesprächspsychotherapie kennzeichnend war, führt bei Patienten mit gering entwickelter Autonomie und vorherrschend externalen Kontrollerwartungen zu eher schlechten Therapieergebnissen (Grave et al. 1994). Offenbar entspricht ein nondirektives Beziehungsangebot der Gesprächspsychotherapeuten nicht den Erwartungen dieser Patienten an eine Behandlung und erschwert somit ein gemeinsames „An-einem-Strang-Ziehen“." (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)")
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Systemische Familientherapie: "In der systemischen Familientherapie werden spezielle familiäre Interaktionen und Strukturen für die Entstehung und Aufrechterhaltung der Magersucht verantwortlich gemacht. Entsprechend zielt die Therapie auf eine so genannte „Störung“ der systemischen Familientherapie in einer eigenen Studie feststellen, dass alleinige Familienbehandlungen nicht ausreichend ist: 51% der Patientinnen begannen im Anschluss zur Familientherapie eine Einzeltherapie und 22% wurden in eine Klinik eingeliefert (Selvini Palazzoli et al. 1999)." (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)
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Körperorientierte Psychotherapie: "Von Seiten körperorientierter Psychotherapeuten wird vielfach die Auffassung vertreten, dass körperbezogene psychotherapeutische Arbeit gegenüber rein verbaler Psychotherapie zu einer Beschleunigung des Therapieprozesses und damit auch zu kürzeren Behandlungszeiten führt (z.B. Green 1983). In einer eigenen Studie (Seidler et al. 2002) zeigte sich aber, dass dem nicht so ist. Es wurde bei Therapeuten für Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) die Behandlungsdauer erfolgreicher Einzeltherapien in ambulanter Praxis untersucht und diese mit den vorliegenden entsprechenden Zahlen für ambulante Gesprächspsychotherapie, als ein rein verbales Therapieverfahren, verglichen. Die Dauer von erfolgreichen KBT-Behandlungen lag mit durchschnittlich 65 Stunden nur wenig unter dem entsprechenden Wert der Gesprächspsychotherapie mit 69 Stunden. Bei einigen psychischen Erkrankungen, wie den Persönlichkeits- und Essstörungen, fielen die Behandlungszeiten für die KBT sogar deutlich höher aus." (vgl. SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der Psychotherapie und Psychotherapieforschung IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)
"Die Aussagekraft der einzelnen hier aufgeführten Studie mag von
der jeweiligen methodischen Anlage her begrenzt sein, sodass es als voreiliges
Urteil erscheinen
kann, dass mit ihnen Lehrmeinungen der Therapieschulen als Mythen überführt
werden.
Dennoch bleibt zu konstatieren, dass es vielfach nicht gelungen ist, Lehrmeinungen
der Therapieschulen zu bestätigen – bei den hier aufgeführten
Studien handelt es sich nur um eine exemplarische Auswahl (vgl. Lohr 2005,
Seidler 2003, Wampold 2001).
Wie dargestellt, legen die Forschungsergebnisse zudem häufig eine von
den Lehrmeinungen abweichende Interpretation des therapeutischen Geschehens
nahe." (vgl.
SEIDLER Klaus-Peter: Geburt, Tod und Wiedergeburt des Dodo-Vogels: Mythen der
Psychotherapie und Psychotherapieforschung
IN: Psychotherapie Forum No. 3 / 2006)
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Wirksamkeit von Psychotherapie
So mögen auf den ersten Blick die hier referierten Befunde den Zweifel
an der Seriosität von Psychotherapie, wie er immer wieder in den Massenmedien
genährt wird (Sydow et al. 1998), untermauern.
Patienten mögen sich
fragen, ob es überhaupt Sinn macht, sich in Therapie zu begeben.
Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die hier vorgestellten Studien gar nicht die Wirksamkeit von Psychotherapie in Frage stellen, sondern nur einige der verbreiteten Lehrmeinungen darüber, wodurch die Wirkung von Psychotherapie zu Stande kommt.
Tatsächlich kann die Wirksamkeit der Psychotherapie seit spätestens Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts mit dem Erscheinen der ersten so genannten Meta-Analysen als belegt gelten.
Bei
der Meta-Analyse handelt es sich um ein statistisches Ausfertungsverfahren,
das ermöglicht, die Ergebnisse verschiedener Studien zusammenzufassen
und zu vergleichen. Was weiss man nun heute zur Wirksamkeit von Psychotherapie?
Auskunft hierzu gib die „Bibel“ der Psychotherapieforschung, „Bergin
and Garfield’s Handbook of Psychotherapy and Behavoir Change“ in
seiner fünften Auflage von 2004 (Lambert 2004).
Lambert und Ogles
(2004) stellen dort u.a. das Folgende fest:
Nicht nur solche Erkrankungen mit hohem Rückfallrisiko stellen eine zukünftige
Herausforderung an die Psychotherapie dar: Es gilt auch diejenigen Patienten
zu erreichen, die bislang nicht von Psychotherapie profitieren oder sich
sogar verschlechtern.
Letzteres trifft immerhin bei etwa 5 bis 10% der Patienten zu.
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Das Dodo-Vogel-Verdikt
Womit ist nun die Wirksamkeit von Psychotherapie
zu erklären? In der
Psychotherapieforschung wurde dieser Fragestellung lange Zeit in Abwandlung
des Mottos eines erfolgreichen deutschen Fussballtrainers nachgegangen: „Recht
hat, wer gewinnt!“ Als Beleg für die Richtigkeit der theoretischen
Annahmen eines Therapieverfahrens sollte demnach gelten, wenn dieses Therapieverfahren
anderen in der Wirksamkeit überlegen ist. Und hier nun machen wir Bekanntschaft
mit dem Dodo-Vogel.
Bei dem historischen Dodo-Vogel auch Dronte genannt, handelt es sich um einen
Vogel von eigentümlicher Gestalt, der auf Mauritius lebte und Ende des
17. Jahrhunderts ausstarb, als dort die menschliche Zivilisation Fuss fasste
(Bryson 2003). Eine tragende Rolle spiel der Dodo-Vogel in Lewis Carrolls Kinderbruch „Alice
im Wunderland“. Dort kommt es zu einem etwas chaotischen Wettrennen,
an dessen Ende der Dodo-Vogel entscheiden soll, wer von den Teilnehmern gewonnen
hat. Sein Urteil lautet „Everybody has won, and all must have prizes“.
Das Jahr 1936 ist dann das Geburtsjahr des Dodo-Vogels in der Psychotherapie: Der amerikanische Psychotherapeut Saul Rosenzweig (1936) veröffentlicht eine Arbeit, in deren Untertitel er den Ausspruch des Dodo-Vogels zitiert. Rosenzweig konstatiert, dass die verschiedenen Psychotherapieverfahren seiner Zeit, wie die unterschiedlichen Richtungen der Psychoanalyse oder auch die christliche Seelsorge gleichermassen ihre Wirksamkeit reklamieren. Er stellt die These auf, dass sich deren Erfolge aber nicht anhand der jeweiligen miteinander konkurrierenden theoretischen Annahmen erklären lassen, sondern vielmehr durch bislang unerkannte gemeinsame Wirkfaktoren. Diese sieht er in der Persönlichkeit des Therapeuten sowie dessen Interpretationgeschick begründet.
Es dauerte dann fast 40 Jahre, bis diese These in einer Überprüfung empirischer Studien nachgegangen wurden. Luborsky und Mitarbeiter (Luborsky et al. 1975) kommen 1975 in ihrer Untersuchung von rund 100 Therapievergleichsstudien zu dem Ergebnis, dass die wichtigesten Psychotherapieverfahren zu ähnlichen Effekten gelangen und dass daher dem Dodo-Vogel zuzustimmen ist.
Auch sie sehen dies Ergebnis in den sogenannten gemeinsamen Wirkfaktoren begründet und streichen hier vor allem die hilfreiche therapeutische Beziehung heraus.
In der Psychotherapieforschung wird seitdem vom Dodo-Vogel-Vedikt gesprochen.
Gemeint ist damit, dass trotz aller Unterschiedlichkeit die wichtigsten
Psychotherapieverfahren zu ähnlichen Effekten gelangen.
In der Folge kam es zu heftigen Kontroversen
zwischen den Psychotherapieforschern, die mit diesem Ergebnis gar nicht
zufrieden waren. Einige sahen die wissenschaftliche Reputation von Psychotherapie
in
Frage gestellt, wenn ungeachtet der Art der psychischen Beeinträchtigung
anscheinend jedes beliebige Therapieverfahren Patienten empfohlen werden
kann.
Die Psychotherapieforschung nahm in den folgenden Jahren einen rasanten Aufschwung.
Spätestens Mitte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts
galt dann der Tod des Dodo-Vogels als besiegelt.
In Deutschland wurde als
Totengräber
des Dodo-Vogels vor allem Klaus Grawe bekannt.
Er und seine Mitarbeiter überprüften
sämtliche Therapiestudien, die bis Ende 1983 vorlagen (Grase et al.
1994). Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sehr wohl deutliche Wirksamkeitsunterschiede
zwischen den Therapieverfahren bestehen. So zeigte sich für die damals
vorliegenden 19 Studien zum Vergleich von psychoanalytischer Therapie und
Verhaltenstherapie, dass bei der Mehrzahl der erhobenen Merkmale (wie Ausmass
der Depressivität
oder des Neurotizismus) die Verhaltenstherapie eindeutig bessere Werte
aufwies.
Solche Ergebnisse wurden in der Fachöffentlichkeit als Nachweis der Überlegenheit
eines störungsspezifischen therapeutischen Vorgehens gewertet, da dieses
kennzeichnend für die Verhaltenstherapie ist.
In der darauf folgenden Zeit setzte
sich vielfach in der Forschung und in den USA bei den Versicherungsunternehmen
die Idealvorstellung durch, für jede Art psychischer Störung
ein massgeschneidertes Therapieverfahren zu haben, dessen Wirksamkeit nachgewiesen
ist.
Es wurde der Terminus der „evidenzbasierten störungsspezifischen
Therapie“ geboren.
Auch in Europa prägt eine solche Psychotherapievision
zunehmend den Zeitgeist in der Forschung und Medizin.
So lautete eines
der Hauptthemen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde im Jahr 2004: „Von Therapieschulen
zur evidenzbasierten störungsspezifischen Psychotherapie“.
Aber
Totgesagte leben länger!
In den Jahren 1997 und 2002 kam es zu Wiedergeburt
des Dodo-Vogels: Die Therapieforscher Wampold (Wampold et al. 1997) und
Luborsky (Luborsky et al. 2002) veröffentlichten mit ihren Mitarbeitern
neue Meta-Analysen, mit denen sie nachwiesen, dass der Ausspruch des Dodo-Vogels
nach wie vor seine
Gültigkeit hat.
Die folgenden aktuellen Forschungsergebnisse relativieren
die angeblichen Überlegenheit störungsspezifischer Therapieverfahren.
Werden
Therapieverfahren verglichen, die für Patienten ein glaubhaftes
Behandlungsangebot darstellen, so ergeben sich keine, bestenfalls sehr
geringe Wirksamkeitsunterschiede (Luborsky et al. 2002, Wampold et al.
1997).
Das gleiche
Ergebnis zeigte sich, wenn die Wirksamkeitsunterschiede verschiedener Therapieverfahren
bei einzelnen Störungsbildern wie Angst und Depression untersucht
werden (Leichsenring 2001, Wampold 2001).
Soweit sich überhaupt Unterschiede zwischen den Therapieverfahren ergeben,
verschwinden diese gänzlich, wenn die theoretische Ausrichtung der Forscher
statistisch kontrolliert wird (Luborsky et al. 2002).
Das Ergebnis von Therapievergleichsstudien
kann zu 70% (!) vorhergesagt werden, sofern man weiss, welchem Therapieverfahren
sich der Psychotherapieforscher verpflichtet fühlt (Luborsky et al. 1999).
Therapeuten sind in sehr unterschiedlichem Ausmass erfolgreich. Dies gilt selbst für die so genannten manualisierten Therapien, bei denen die Therapeuten vorher trainiert werden, sich an ein bestimmtes Vorgehen in der Behandlung zu halten.
Die Unterschiede zwischen den Therapeuten sind grösser als diejenigen Unterschiede, die sich zwischen den Therapieverfahren ergeben. Wie erfolgreich Therapeuten sind, hängt vor allem von ihrer interpersonellen Fähigkeiten ab und steht erstaunlicherweise kaum in einem Zusammenhang damit, wie viel therapeutische Berufserfahrung sie haben (Lambert und Ogles 2004, Wampold 2001).
Die Therapietechnik ist im Vergleich zu allgemeinen
Wirkfaktoren, wie der Qualität
des therapeutischen Arbeitsbündnisses und der interpersonellen
Fähigkeit
des Therapeuten, nur von geringer Bedeutung für den Behandlungserfolg.
Höchstens 8% des Therapieerfolgs lassen sich auf die Therapietechnik,
aber mindestens 70% auf gemeinsame Faktoren zurückführen (Wampold
2001).
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Modelle von Psychotherapie (ab
hier noch überarbeiten !!!!)
Ob es angesichts dieser Datenlagen tatsächlich um die Wiedergeburt
des Dodo-Vogels-Vedikt und nicht vielmehr um ein Mythos der Psychotherapieforschung
handelt, wird unter Psychotherapieforschern sehr kontrovers diskutiert.
Dennoch relativiert der aktuelle Forschungsstand die Bedeutung, die den
verschiedenen therapeutischen Methoden für die Erklärung der Wirksamkeit
der Psychotherapie zugesprochen werden kann, oder erfordert zumindest ein
theoretisches Verständnis für ihre Wirkungsweise, das von den
Erklärungsmodellen der jeweiligen Therapieschulen abweicht (Orlinsky
2003). So lassen die geschilderten Forschungsergebnisse sowie weitere Ergebnisse,
z.B. zu Wirksamkeit psychotherapeutischer Placebo-Behandlung (Baskin et
al. 2003) und zu so genannten Komponenten-Studien (Ahn und Wampold 2001),
bei denen die Wirksamkeit einzelner Therapiekomponenten überprüft
wird, Wampold (2001) in seinem Buch „The Great Psychotherapy Debate“
zu dem Schluss kommen, dass sich die Wirkungsweise von Psychotherapie nicht
anhand des medizinischen Modells erklären lässt. Gemäss dem
medizinischen Modells, der Psychotherapie wirkt diese dadurch, dass für
die jeweiligen psychischen Probleme, Beschwerden oder Erkrankungen eine
zutreffende psychologische Erklärung vorliegt (z.B. Verhaltensdefizit
oder unbewusster Konflikt), die wiederum ein spezifisches therapeutisches
Vorgehen zur Folge hat (z.B. Verhaltenstraining oder Deutung des unbewussten
Konflikts). Wie gezeigt wurden, ist es der Psychotherapieforschung aber
bislang nicht gelungen, überzeugend nachzuweisen, dass irgendein spezifisches
therapeutisches Vorgehen notwendig ist, damit Psychotherapie wirkt.
Die Datenlage spricht eher dafür, dass die Wirkung von Psychotherapie
am besten durch ein holistisches Modell erklärt werden kann, das Psychotherapie
als einen Prozess der sozialen Einflussnahmen im Rahmen einer emotional
bedeutsamen durch Vertrauen geprägten Beziehung konzipiert. Dieses
Modell wird von Wampold als kontextuell bezeichnet. Es wurde in ähnlicher
Weise von Jerome Frank (Frank und Frank 1991) beschrieben, der strukturelle
Ähnlichkeiten zwischen Psychotherapie und Schamanismus herausstellt
und die Bedeutung gemeinsamer Wirkfaktoren hervorhob. Psychotherapie führt
demnach zu Veränderungen im Erleben und Denken des Patienten, indem
der Rahmen und das Vorgehen in der Therapie beim Patienten Hoffnung auf
Besserung seines Leidens induziert. Ausserdem wird ihm eine glaubwürdige
(aber nicht notwendigerweise „richtige“) Erklärung seines
Leidens gegeben und dafür, wie er dieses überwinden kann. Ein
darauf basierendes „Ritual“ (z.B. freies Assoziieren oder Konfrontation
mit ängstigenden Situationen) führt beim Patienten dazu, dass
er emotional bedeutsame neue Erfahrungen mit sich macht und ein Gefühl
der Selbstwirksamkeit entwickelt. Zudem betont das kontextuelle Modell als
wichtigen Faktor für das Funktionieren von Psychotherapie, dass der
Therapeut die Weltsicht, Erwartungen und Einstellungen des Patienten berücksichtigt.
Bei diesen als relevant erachteten Patientencharakteristika handelt es sich
eben nicht um solche, die im Zusammenhang mit der Art des psychischen Erkrankungen
eines Patienten stehen. Tatsächlich bestätigt empirische Untersuchungen,
dass erhöhte Erfolgsraten zu verzeichnen sind, wenn eine „Passung“
von solchen Patientencharakterika mit der Art des Behandlungsverfahrens
vorliegt (z.B. Beutler et al. 1991, 2003). So profitieren Patienten mit
grossem Unabhängigkeitsbedürfnis von Psychotherapie mehr, wenn
sie non-direktiv behandelt werden, während Patienten mit erhöhtem
Abhängigkeitsbedürfnis aus der Therapie Nutzen ziehen, wenn sie
in dieser angeleitet und geführt werden (Beutler et al. 1991). Hingegen
konnten bislang für Patientencharakteristika, die in einem theoretisch
angenommenen Zusammenhang zur Art der psychischen Erkrankung stehen, keine
Vorteile einer Passung von Patientenmerkmal und Therapiemethode nachgewiesen
werden. Zum Beispiel ist kognitive Therapie keineswegs bei solchen Patienten
besonders erfolgreich, die Defizite in kognitiven Bewältigungsstrategien
haben (Simons et al. 1985) – das medizinische Modell erweist sich
auch hier als Mythos.
Wohl hat die Entwicklung störungsspezifischer Therapieverfahren den
therapeutischen Handlungsraum über den Bereich der psychoreaktiven
Störungsbilder hinaus deutlich erweitert – als Beispiel seien
hier psychoedukative Familieninterventionen bei der Behandlung schizophren
erkrankter Patienten oder die Behandlungsmethoden der Verhaltensmedizin
bei chronischen körperlichen Erkrankungen genannt. Ein Verständnis
von Psychotherapie, das auf dem medizinischen Modell beruht, greift aber
offenbar zu kurz, um die Wirkungsweise der Psychotherapie zu erfassen. Zukünftige
Forschung sollte sich verstärkt den Aspekten von Psychotherapie zuwenden,
die vom kontextuellen Modell hervorgehoben werden, wie die Passung von Patienten
und Therapeuten oder Therapiemethode. Im Gesundheitssystem müssten
die Eigenarten der Psychotherapie als eine spezielle Form zwischenmenschlicher
Begegnung und interpersoneller Einflussnahmen anerkannt werden. Es blieben
sonst zu befürchten, dass die Psychotherapie mit ihrem spezifischen
Potential, psychisch erkrankter Menschen zu helfen, das gleiche Schicksal
wie das des historischen Dodo-Vogels erleiden wird.
Dieser starb aus, als ihm sein Lebensraum genommen wurde.
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